Der 11. September wird bei uns gemeinhin mit den furchtbaren terroristischen Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001 in Verbindung gebracht. Für mich hat dieser Tag eine ganz andere Bedeutung. Meine eigene Geschichte beginnt genau heute vor 50 Jahren, als das chilenische Militär gegen den demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Salvador Allende putschte.

Das Militärregime von Augusto Pinochet errichtete in den folgenden 17 Jahren eine Schreckensherrschaft, wo Anhänger*innen linker Bewegungen oder Menschen, denen eine Verbindung zu linken Gruppierungen nachgesagt wurden, in den Foltergefängnissen massakriert wurden. Tausende wurden verhaftet und bis heute wissen ihre Angehörigen nicht, was mit ihnen passiert ist. Etwa eine Million Menschen flüchtete ins Ausland, um ihr Leben und das ihrer Familien in Sicherheit zu bringen. Ihr Verstoss: Sie engagierten sich politisch und ihre Parteien und Organisationen waren seit dem Putsch verboten.

Einer davon war mein Vater. Der Zufall brachte ihn in die Schweiz. Es gab kein Zurück mehr, es war ihm verboten in sein Land zurückzukehren. Eine Erfahrung, die wohl niemand wirklich nachvollziehen kann, der nicht in dieser Situation ist.

Flucht hat kein Ende – Sie prägt auch die Folgegenerationen

Es ist eine Illusion, dass Flucht an einem gewissen Punkt endet. Sie geht weiter, auch über Generationen hinaus. Meine Familie und die Familien vieler tausender Menschen wurden am 11. September 1973 auseinandergerissen. Das unendliche Leid, dass über die Generation meiner Eltern durch den Militärputsch hineinbrach, konnte nie ganz geheilt werden.

Das Erstarken der Rechten und die Verharmlosung von Diktaturen

Wenn ich heute auf das Erstarken der Rechten blicke, so macht mir das Angst. Ich weiss aus dem nächsten Umfeld, dass es nicht selbstverständlich ist, politisch aktiv zu sein.

Wenn die Rechten von der „linken Meinungs-Diktatur“ sprechen, so macht mich das wütend. Es ist ein Unterschied, wenn ich einer Meinung widerspreche oder wenn ich als Folge meiner Meinungsäusserung in ein Gefängnis geworfen werde und gefoltert werde.

Oder musste jemals jemand in der Schweiz fürchten, nachts auf ein Militärfahrzeug geladen zu werden? Wurden je eure Familienmitglieder auf offener Strasse verhaftet und ihr wisst bis heute nicht, wo sie sind und wo ihre Leichname vergraben wurden? Oder musstet ihr eure eigene politische Meinung vor euren Kindern verbergen, aus Angst, sie könnten es in der Schule weitererzählen und es steht plötzlich die Polizei vor der Tür?

Es darf nicht sein, dass die Rechten mit solchen Aussagen die wahren Diktaturen bagatellisieren und das Leid verharmlosen, das Diktaturen auslösen. Dagegen müssen wir uns wehren.

Nie wieder darf so etwas passieren, nicht in Chile und nicht im Rest der Welt.

Der Schutz vor politischer Verfolgung ist eines unserer wichtigsten Güter.

Morgen jährt sich die Gründung unserer Demokratie in der Schweiz zum 175. Mal. Sie ist ein wertvolles Gut. Schützen wir sie.